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Wandelbar

  • Writer: Annabell S.
    Annabell S.
  • Jun 25, 2022
  • 4 min read

Updated: Mar 31

Ich streife mit meinen Fingern durch mein Haar, vergrab‘ sie tief in meinen braunen Strähnen.

Ich nehme einen Stift und drück nervös auf seiner Miene herum, so als würde ich auf was warten.

Und drücke mich damit vorm Schreiben.

Und dann spüre ich wie meine Hände nach einer Schere greifen – ich derweilen in einem seltsamen Zustand zwischen schlafen und bewusst – sein.

Ich schneid‘ mir ein paar Strähnen ab, schau wie sie zu Boden sinken, im Papiermeer des Mülleimers ertrinken, im einsamen Licht der Schreibtisch Lampe sind sie nur schemenhaft zu sehen. Mein Spiegelbild sieht anders aus, trägt jetzt einen anderen Rahmen, der sich um die müden Augen legt. Aber die müden Augen sind noch gleich und anders geht noch anders also greif ich nach den Farben, die ich übrig habe und beginne dann mich anzumalen – will meinen trüben Blick kaschieren. Ich mach mich nackt und zieh mich an, zieh mich aus und zieh mich um, als wär ich ein Modell – nein, kein Model, ganz sicher nicht ein Model – sondern ein Modell. Schnell gegriffen, Teile die nicht passen werden abgeändert oder raus gerissen. Das, was stört – wird niemand missen.

Doch wie arrangier‘ ich das mit meinem Gewissen?

Bin eine Arbeitsdatei, stehe zum ständigen bearbeiten frei, bin ein Entwurf. Hab damit die Gelegenheit mich zu verwerfen, wenn ich muss. Drück viel zu gerne auf reset. Nur gelingt mir das meistens recht schlecht. Ich mach nur minimal Justierung. Vielleicht fehlt mir die Courage, vielleicht zöger ich, weil‘s vermutlich nur ‘ne Phase ist. Oder übersetzt man das mit Feigheit, wenn man bedenkt, man könne scheitern und deshalb Entscheidung verweigert?

Aber immerhin: ich mag das Gesicht, das ich habe, wenn ich make up trage. Fühl mich nicht verfälscht – eher wiederhergestellt. Fühle mich seltsamer Weise ehrlicher als ohne. Vielleicht weil ich es gewohnt bin auf die eine Art zu lügen.

Dostojevski sagte, „Belüge dich nicht selbst“, er sagte, wer sich selbst belügt, der kann irgendwann Wahrheit nicht mehr von Täuschung unterscheiden.


In letzter Zeit tue ich mich schwer ehrlich mit mir selbst zu sein. Ich wäre gerne so stark wie ich es vorschütze, doch nützt mir diese Stütze nichts, wenn mein eigenes Fundament – nicht einmal mich selber hält. Die Säulen meiner Selbst ertragen ausgesprochen wenig Druck. Ich habe das Gefühl ich lasse mich manchmal zu leicht einreißen. Aber das ist nicht so schlimm, denn ich weiß wie man mit Marmor und Meißel arbeitet. Einst sagte Alexis Carell, man könne sich nicht ohne leiden heilen: weil man ja beides sei: Marmor und Meißel.

Und vielleicht empfinde ich das schlimmer als es ist.


Ich erkenn mich manchmal nicht im Spiegel.Komisch, denn manchmal fühle ich mich wie ich mich seh‘ viel echter, fühl mich wacker für Gefechte, werd dem Schlechten viel gerechter. Doch bin ich ehrlich? Die Frage stellt sich mir nicht.

Fühl mich allmählich ein wenig standhaft auf dem Boden – angekommen, wäre gelogen, aber ich wanke nicht so leicht. Durchschreit noch scheu neue Gewässer, merk wie die Wasseroberfläche sich verändert, ich werde besser im Vergessen wer ich war.

Doch im sich bewegenden Gewässer wird mein Spiegelbild nicht klar.


Es liegt im Trend sich selbst zu finden. Ich weiß nicht mehr wann ich mich verloren hab.

Wenn Menschen und Orte und Dinge und Gewohnheiten ständig wechseln und wenn das so natürlich und selbstverständlich ist, wie dass die Sonne morgens aufgeht, weshalb fühl ich mich dann in Stagnation, als ob ich schon viel zu lang bei Nacht leb? Ich würd‘s gern auf den Winter schieben, aber bald ist Sommer und die Gedanken sind geblieben.

Vielleicht kann ich ja dann doch bald meinen Frieden damit schließen. Doch hätt‘ ich gern einen Angelpunkt, einen Anker. Ein verwandter Gedanke besagt: Ich müsste wissen was zu tun ist, und ich weiß ich könnte handeln, und obwohl ich es mir wünsche mangelt es mir manchmal noch am Mut mich so zu wandeln wie ich will.


Womöglich fürcht ich mich vor meinem Ego, es ist manchmal ganz schön schlimm und deshalb halt ich‘s lieber still, denn was es sagen will, ist meist – naja: ein bisschen Egozentrisch, ein bisschen unbedacht. Was natürlich nicht rechtfertigt, dass es das sagt oder das es überhaupt da ist. Aber man muss halt klarkommen, nicht wahr?

Ich will ihm weder zu noch gegen reden, ich weiß ja nicht, würd sich das lohnen? denn es ist ja quasi sowas wie ein Fabelwesen, weil ego heißt ja „ich“, und ich erkenne mich ja nicht, das ist ja die Problematik bei der Sache. Der Sachverhalt ist paradox.

Dazu trägt der Gedanke bei, dass ich womöglich bis zu einem gewissen Grad selbst für meine Leiden verantwortlich gemacht werden kann. Vielleicht mach ich alles schlimmer als es ist, vielleicht hab ich mich zu sehr in der Melancholie und Stagnation verbissen.

Stehen ist halt am Ende doch immer noch bequemer als zu gehen.

Irgendwann habe ich angefangen mir ein Bild von mir einzubilden, dem ich nicht entsprechen kann – auch wenn ich das immer wieder gern versuche. Es hängt in einem Rahmen ohne Namensangabe. Es ist wandelbar, jeden Tag anders, so wie ich so oft ein anderer. Manchmal mag ich‘s, manchmal übermal‘ ich‘s, manchmal braucht es mehr Fläche, dann häng ich es woanders ein , woanders an, halt einfach um.

Und das macht mich manchmal müde.

… Ich weiß nicht ob ich richtig bin oder überhaupt falsch sein kann. Ich weiß nicht mal, ob es denn so wichtig ist mich das überhaupt zu fragen.

Ich trage jeden Tag ein anderes Bild von mir in mein Gedächtnis – hier in eine Liste ein, wo Sachen stehen, die ich noch verbessern will. Und jeden Tag versuch ich ein neues Bild von mir in jenen Rahmen hier zu hängen.

Jeden Tag versuche ich diesen Rahmen dann zu sprengen.

Ich hätte gern ein schönres Ende, aber das Ende ist noch offen. Denn wenn man etwas ständig ändert, kann man nicht auf Fertigstellung hoffen.

Erstmals vorgetragen auf der Bühne im Palatin Kongresshotel in Wiesloch (Baden-Württemberg) am 21.04.2022  (https://www.youtube.com/watch?v=30vLaJ8M71I)

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